PROSA.

Das Lied

Klare Fische wandern im Tal von Baum zu Baum und klatschen im Takt der morgendlichen Helltages-Hymne. Keine Wolke am Himmel zu sehen, aber fischige Augen, die aus ihren Höhlen krabbeln ohne sieben Gedanken. Nichtsdestotrotz weben die Bienen weiter ihre frischen Netze aus Papyrus-Garn und schwatzen dabei recht laut. Doch die Fische haben riesig Lust, ein flüchtiges Lied, das einem aus den Ohren fällt, zu trällern und werden gar verrückt dabei, denn das ist das Lied der Wahnsinnigen. Es geht in etwa so:

„Habt ihr nicht gehört?
Habt ihr den Wettbewerb gewonnen?
Der Dritte war weiß im Gesicht,
Ganz bleich,
Als hätte er einen Mund,
Aus dem Worte kommen.
Überzeugt und weiß.
Diebe sind im Norden häufig,
So häufig, so häufig.
So häufig, so häufig.

Komm‘ und geh‘ mit,
In die falsche Höhle,
Aus der prächtige Primeln sterbend herausschreien.

Krähen und Kröten vernebeln die Sicht,
Die Sicht, die Sicht,
Auf die Wahrheit des Waldes und des Wals
Des Wals, des Wals, des Wals.
Was beherbergt er, welches Geheimnis?
GEHEIMNIS!

Schämt euch nicht, zu schweigen.
Es ist ein Grauen zu schnorcheln,
Im Wasser voller Zweige,
Denn was zählt,
Ist der gute, fischlose Anstand
Mit Untertönen,
Die von Gerücht zu Gerücht
Verschleimt werden, samt gutem Gewissen
Samt gutem Gewissen, gutem Gewissen,
Samt gutem Gewissen, gutem Gewissen.

Komm‘ und geh‘ mit,
In die falsche Höhle,

Aus der prächtige Primeln sterbend herausschreien.
Krähen und Kröten vernebeln die Sicht
Die Sicht, die Sicht,
Auf die Wahrheit des Waldes und des Wals
Des Wals, des Wals, des Wals.
Was beherbergt er, welches Geheimnis?
GEHEIMNIS!

Es ist Freude dabei,
Wenn Eier sterben
Und Vögel zerbrechen,
Denn den Wettbewerb kann niemand gewinnen.

Kennt ihr das Rätsel?
Habt ihr die Lösung?

Hahaha!“

Und sie lachten und lachten bis der Abend kam und sie schließlich alle gar in die Psychiatrie geschickt wurden, auch die Bienen, denn sie wurden als Zeugen eines Verbrechens in der Gegend mitgenommen. Es handelte sich um den Raub des Verstandes der fischigen Fische. Sie bestanden nur noch aus Schuppen und Gräten. Hatten weder Erinnerungsvermögen noch sonstige mentale Aktivitäten. Sie waren kaputt. Doch wer konnte das sein, der sie ihres kostenlosen Verstandes beraubt hatte?
Sie fanden es nie heraus, da die Töne des Wahnsinnigen-Liedes die Bienen ebenfalls benommen gemacht hatten. Da die faulen Fische nun immer noch wie bekloppt sangen, wurden auch bald die Ärzte mit deren bizarren Wahnsinn angesteckt, sodass einer von ihnen ein Streichholz herbei holte und das Haus anzündete. Die kleine Hütte aus Stöckchen und berauschten Tierchen brannte und es gab niemals Zeugen.

Der kleine Junge glubschte weg mit dem Verstand eines Fisches.

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PROSA.

Lexikon des Leidens: Armut

Arm an Gefühlen, lacht er versehentlich und weint aus gedrungenem Mitleid gegenüber sich selbst. Doch einst, als zwischen ihm und seinen Empfindungen noch keine Mauer gezogen wurde, die nun ab und an überwunden wird, wenn das Wasser zu hoch steigt, lagen Trauer und sein Bewusstsein eng umschlungen in einer innigen Umarmung auf dem harten Boden, dessen Hände die Bluttränen auffingen. Oder aber, als es ihm die Freude ermöglichte, abzuheben und die Welt von oben zu sehen. Doch jetzt: Es ist so wenig in ihm. Und so wenig um ihn, das ihn bewegen könnte. Wie ein Stein bleibt er starr – im Gesicht, in seinen Gliedern. In seiner Seele. Jedes Zeichen von Lebendigkeit in seiner Mimik ist gewichen, stattdessen verweilt der abwartende Ausdruck auf seinen Zügen. Die Armut der Gemütsbewegungen hat ihn langsam aufgefressen, sodass nur noch ein knochiges Skelett zurück geblieben ist. Sie selbst ist ein recht wohl genährtes Absurdum. Sie lebt hinter der besagten Mauer und hält ihre Geißeln zurück. Es gibt keinen Weg, durch sie hindurch zu dringen. Keinen, außer, wenn jemand oder etwas es schafft, die allzu rasch wieder zuwachsende Mauer einzureißen, wodurch einige Geißeln ihre Freiheit wieder finden können. Oder, wenn jemand die Seele des Emotionslosen derart bespielt, dass Wellen schlagen im Land der Gefangenschaft. Somit gelingt es einigen Regungen zu entkommen – samt Tröpfchen, die auch noch hindurch fließen. Jedoch ist die Armut meist so stark, dass sie sogar das Leid selbst gefesselt hält und es damit nur noch überschwenglicher werden lässt. Das Hintergrundrauschen der entmachteten Gefühle verschlimmert das nüchterne Leiden des Besagten am Tag.

GEDANKEN.

Hochmütige Anläufe

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Das immune Gegenstück zur Selbstständigkeit der Gedanken richtet sich wie das Auge einer Fliege in Richtung dampfender Ereignisfreudigkeit, voller Überraschungen hinsichtlich Überwindung der Monotonie und alltäglichen Langeweile im Gedächtnis von unverborgenen Gewissheiten.
Beinahe verkörpert der Geruch von Vitalität und Zerstörung die Erfüllung eines lang ersehnten Wunsches. Im Topf brodelt jedoch die falsche Zutat für einen großartigen Erfolg.

GEDANKEN.

Einbrechende Blicke

Collage LR (6 von 17)

Bald gibt es keine Geheimnisse mehr. Alle Wunder entschwinden mit der gewaltsamen Öffnung der bis jeher verhüllenden Schale.

Bald gibt es keine Geheimnisse mehr. Der Schutz lässt nach, mein Verstand verabschiedet sich von dem längst ins Rollen gebrachten Stein, der die Hülle zerstört und den Schleier durchschneidet, gewaltsam und doch geschickt. Wunder entschwinden und geborgene Dunkelheit wird grell erleuchtet, während das Rätsel geöffnet und seziert wird.

Bald gibt es keine Geheimnisse mehr.
Die Gewalt spiegelt sich in meinem Auge wider, ohne dass ich sie sehen kann. Doch alle beobachten mich, und mich, die nicht kann und doch ist und mich, die nicht will und die muss.
Eine Aufführung, der ich nicht gewachsen bin. Ein Spiel, dem ich den Rücken zukehre. Und doch, es bin ich.

 

PROSA.

Der Tintenfisch

Ich füttere den Tintenfisch. Er spuckt aus ein Wort, dann zwei. Dann drei. Das Papier sagt: „Blubb, blubb, blubb.“ Nein, mehr hast du nicht drauf? Armselig. Ich quetsche ihn aus. Komm, was hast du jetzt zu sagen, du Stück Papier?! „Schwindel treibt den Kopf in die Tiefe, bis der Hals sich dreht und alle Organe vergessen, welch Aufgabe ihnen innewohnt.“ Nun, damit kann ich nichts anfangen. Versuchen wir es noch ein letztes Mal. Ich gebe dem Tintenfisch ein Leckerli. Sag mir, was du sagen kannst, Papier! „Kraft ist da, wo sie zu Schwäche wird und Schwäche ist überall. Heute ist morgen.“ Na gut, es scheint kein günstiger Tag zu sein. Ich probiere es morgen noch einmal in Ruhe, diesen teuren Tintenfisch auszuquetschen – dann spuckt er vielleicht etwas Sinnvolles aus.

So, du Tintenfisch, ich hoffe, dir geht es heute besser. Hier, hast du dein Frühstück.

Und nun, sprich, Papier. Sprich mit mir! Es erscheinen zunächst nur Kleckse auf der weißen Fläche, doch dann beginnt das Papier zu reden: „In trüber Stimmung tanzt die blaue Ziege umher mit blauen Hörnern im Glanz der Nachtsonne mit purpurnem Himmel und Sternen.“ Ja, das ist nicht schlecht. Weiter so. „Die Gebärdensprache zeigt auf sie und sie beendet schlagartig die Bewegung. Stattdessen kommt sie auf dich zu, langsam und schwer atmend. Ergreift deine Hand, sagt „Tschüs“ und nimmt den Tanz wieder in wahnsinniger Dynamik auf. Sie steppt von einem Bein zum anderen, hebt die Arme in die Höhe, schwingt den Kopf und die Hüfte, als wären die Tiere keine Tiere. Sind sie auch nicht.“

Das ist ja vorzüglich. Friss, Tintenfisch! Friss noch mehr. Und er kotzt und kotzt, bis das Papier vollkommen beschmiert ist. „Der Hammer zerschlägt die gute Stimmung, schlägt die Ziege entzwei und lacht so schelmisch, dass der Morgen naht und alle vergessen, was geschehen ist. Am nächsten Tag beschließt der Pfarrer die blaue Ziege zu suchen, da sie nicht im Gottesdienst erschienen ist. Keine Spur von ihr, denn alles, was von ihr übrig ist, ist eine Halskette, von der niemand weiß, dass sie sie trug. Du schleichst dich an, zu der Stelle, wo der Hammer die Ziege getroffen hatte und nimmst das Amulett mit. Reißt es an dich, als wäre es dein. Siehst du, welchen Schatz sie bei sich hatte? Es ist das Freiheitselixier, das einen immun von Fesseln macht. Man ist immer frei. Aber nicht vom Tod, deshalb hat sie ihn im Hammer gefunden.“ So langsam nimmt diese Geschichte einen grotesken Verlauf. Vielleicht sollte ich dem Tintenfisch etwas anderes zu futtern geben. Hier, hast du eine Banane. Und das Blatt redete weiter: „Und in seinem Schlaf redete der Pfarrer nur noch von der Ziege, als wäre sie seine Geliebte gewesen. War es nicht so? Stöhnend wacht er auf und findet eine Pfütze auf seinem Bauch vor seiner Nasenspitze. Er liest sie insgeheim und ganz genau, denn es könnte ja eine versteckte Botschaft der Ziege sein. Er liest und liest, doch findet keine Antwort. Alles, was er versteht ist: Es fehlt Gelb. Das nützt ihm jedoch auch nichts. Jedenfalls sammelt er alles, was die Farbe Gelb trägt und bringt es nach Hause. Darunter befinden sich eine Menge Blütenblätter, ein Strohballen, Früchte und Stoffe. Er mixt alles zusammen und damit es auch gut riecht, gibt er einen Schuss Goldstern-Extrakt dazu. Er trinkt davon und ihm wird schlagartig übel. Nach langem Ringen mit dem Tod, gewinnt dieser jedoch und schwingt die Sense. Du schleichst dich rein, nimmst dem Pfarrer sein Heiligtum, dass bis dato noch seine Wand zierte – ein Kreuz-Anhänger, rennst davon und freust dich über deine neue Beute. Du hast es geschafft, du hast den zweiten Freiheitsanhänger gefunden und nun stirbst auch du. Und findest deine wahre Freiheit.“ Das war nun eine recht hübsche Geschichte, danke lieber Tintenfisch. Du hast deinen Soll getan. Und jetzt wandere in den Kochtopf. Demütig wandert der Tintenfisch in Richtung Kochtopf. „Auch ich finde nun meine wahre Freiheit“, blubbert es im Topf.

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LYRIK.

Sehnsucht nach Inspiration

Die Kreativität bleibt mir fern
Ich blicke stur geradeaus
Doch alles, was ich sehe, ist Leere
Bin umgeben von diesem und jenem
Aber die Kreativität bleibt mir fern
Ich will zeichnen, schreiben, malen
Formen, Worte, Farben
Schwirren umher
Hier und da
Und in meinem Kopf
Aber bilden keinen Knoten
Denn die Kreativität bleibt mir fern
Ich sehne mich nach Inspiration
Und durchsuche mein Bewusstsein
Nach Lösungen, Ideen, Visionen
Doch weiß ich nicht, wo sie sind
Da wird mir klar
Ich kann es nicht
Und gebe auf
Resigniert
Und frage mich
Weshalb bleibt mir die Kreativität nur so fern?

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GEDANKEN.

Blockade. Verdichtung der Gedanken- und Kommunikations-Paralyse

Zwei miteinander verschlungene Enden. Oder ein Knoten? Die Frage nach dem „Ob“. Der Knoten zog sich immer mehr zusammen, doch verwandelte er sich am höchsten Punkt in eine schlicht schöne Verschlingung.

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LYRIK.

Zeig mir deine Augen

Er ist da
Ich bin da
Wir blicken uns an
Er offenbart, was mir verborgen bleibt
Verpackt die Wahrheit in Lüge und Schmeichelei
Alles ist vertauscht
Nichts ist so, wie es zu sein scheint
Und doch ist es das, was er sieht
Aber ist es auch das, was ich sehe, was er mir zeigt?
Ich sehe Schlechtes im Guten
Der Moment ist kurz
Und mein Verstand ist beschränkt
Das bin nicht Ich, die er mir zeigt
Sie ist anders
Sie ist schön und sie ist hässlich, aber sie ist nicht Ich
Manchmal ist sie sehr speziell
Manchmal ist sie charmant
Manchmal ist sie scheußlich
Aber nie ist sie Ich
Er zeigt mir nicht, was mir verborgen bleibt
Er erzählt mir keine Wahrheit
Er lügt und lügt und lügt
Bis man ihm glaubt
Ich bin verliebt in die Unwahrheit
Und hasse sie zugleich
Spiegel, zeig mir deine Augen. Ich will aus ihnen sehen

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Foto: Dirk Brzoska