GEDANKEN.

Buntes Vakuum

Wer wägt meine Kreativität ab?
Fällt mein Ich – immer wieder mein Ich – ins Gewicht?
An meiner Fantasie klebend, hängend, sie umklammernd, mich schmerzlich vor vermeindlicher Loslösung in sie hineinkrallend, hebt die Waagschale sich und die Last auf der Gegenseite scheint plötzlich nicht mehr im Zentrum des Interesses zu stehen.

Collage LR (7 von 17)

PROSA.

Rezeptfrei

Das Rezept. Da liegt es. Es liegt neben meiner Hand. Ich ergreife es. Das Papier, billiges Papier. Ich möchte daran riechen. „Klinisch rein“ nennt man das doch. Frei von Ängsten bin auch ich nicht.
Doch, was tust du hier, innere Stimme?
Ich bin still. Jetzt musst du handeln.
Aber nein, wohin gehst du, verstumme nicht, ich will deinen Schrei hören, deinen Hilfeschrei! Ich will, dass du um Vergebung bettelst und flennst wie ein Kind. Ich zwinge dich auf die Knie! Sei gequält, du Ding!
Rezeptfrei aus der Apotheke heißt wirksam und gut verträglich.“
Wie bitte, ich glaube ich träume. Was soll das für ein blöder Scherz sein. Dieser Automat. Er starrt mich an. Dieser Automat. Er will, dass ich mein Rezept in ihm versenke. Dieser Automat. Der steht da bedrohlich in der Ecke. Und trotzdem. Er verlangt von mir Unmögliches. Ein Automat.
…Für rezeptfreie Medikamente.
…Der eine Öffnung für Rezepte besitzt.
Und jetzt? Ich weiß nicht weiter, ich bin schnappatmungsintensivüberfordert. Dabei will ich doch nur eins. Ein glückliches Medikament, das nicht chemiebehandelt ist.
– Mach jetzt!
Du schon wieder. Ich habe gesagt, du sollst vor mir knien. Und jetzt schleichst du dich von hinten aus dem Hinterhalt an und pisst mich von der Seite an. Ich weiß genau, was zu tun ist. Ich muss des Automaten Maul zukleben, bevor es noch mehr Schaden in meiner Psyche anrichtet. Ich will doch nur ein Rezept einlösen. Warum zur Hölle sagt der Automat dann immer die gleiche Floskel. Rezeptfrei. Rezeptfrei. REZEPTFREI! Ich habe aber ein verdammtes Rezept. Ein gottverdammtes Rezept! Außerdem sind Medikamente nie gut verträglich und bedauerlicherweise meist nur semiwirksam.
Ich will das nicht. Ich will das nicht! Lasst mich in Ruhe! Nein!

Und der Krankenwagen fuhr zum wiederholten Male in Richtung Wiesloch West.

Foto: André Leischner
DRAMA.

Dich

A: Ich sehe dich.
B: Dich, was heißt das?
A: Na dich – dich.
B: Mich.
Mich, meinen Körper?
Mich, meine Seele?
Mich, meinen Charakter?
Mich, meine Fehler?
Meine Vergangenheit?
Meine Zimmerpflanze, die sich in meinen glasigen Augen widerspiegelt?
Oder mich, einfach nur mich??
A: Dich. Einfach nur dich.

PROSA.

Lexikon des Leidens: Armut

Arm an Gefühlen, lacht er versehentlich und weint aus gedrungenem Mitleid gegenüber sich selbst. Doch einst, als zwischen ihm und seinen Empfindungen noch keine Mauer gezogen wurde, die nun ab und an überwunden wird, wenn das Wasser zu hoch steigt, lagen Trauer und sein Bewusstsein eng umschlungen in einer innigen Umarmung auf dem harten Boden, dessen Hände die Bluttränen auffingen. Oder aber, als es ihm die Freude ermöglichte, abzuheben und die Welt von oben zu sehen. Doch jetzt: Es ist so wenig in ihm. Und so wenig um ihn, das ihn bewegen könnte. Wie ein Stein bleibt er starr – im Gesicht, in seinen Gliedern. In seiner Seele. Jedes Zeichen von Lebendigkeit in seiner Mimik ist gewichen, stattdessen verweilt der abwartende Ausdruck auf seinen Zügen. Die Armut der Gemütsbewegungen hat ihn langsam aufgefressen, sodass nur noch ein knochiges Skelett zurück geblieben ist. Sie selbst ist ein recht wohl genährtes Absurdum. Sie lebt hinter der besagten Mauer und hält ihre Geißeln zurück. Es gibt keinen Weg, durch sie hindurch zu dringen. Keinen, außer, wenn jemand oder etwas es schafft, die allzu rasch wieder zuwachsende Mauer einzureißen, wodurch einige Geißeln ihre Freiheit wieder finden können. Oder, wenn jemand die Seele des Emotionslosen derart bespielt, dass Wellen schlagen im Land der Gefangenschaft. Somit gelingt es einigen Regungen zu entkommen – samt Tröpfchen, die auch noch hindurch fließen. Jedoch ist die Armut meist so stark, dass sie sogar das Leid selbst gefesselt hält und es damit nur noch überschwenglicher werden lässt. Das Hintergrundrauschen der entmachteten Gefühle verschlimmert das nüchterne Leiden des Besagten am Tag.