LYRIK.

Sonne & Mond

Es lockt mich der Schein der Unwahrheit ins gute Leben
Nicht jede Sekunde verstreicht umsonst
Denn der Stiel des Unglücks ist endlich
Steig hinein ins Rad der Illusionen
Und komme zurück
Wenn Sonne und Mond nicht mehr miteinander streiten

PROSA.

Wenn die Möglichkeiten es unmöglich machen, sich zu entscheiden

Die Gardinen werden zugezogen, die Lampen ausgemacht und somit verschwindet jede Lichtquelle. Ich befinde mich in einem kreisrunden Raum, in dem aus jeder Himmelsrichtung eine Tür irgendwo hinführt. Dazwischen ist jeweils ein Fenster auszumachen. Jedes davon hat die Größe einer Tür, jedoch unterscheiden sich die Fenster durch spinnennetzdicke Gitterstäbe, durch die man nicht hindurch treten kann. Meine Augen spielen Taschenlampe. Mit dem linken Auge erhelle ich den Raum, in dem ich alleine und ohne Hilfe stehe. Mit dem rechten kann ich sehen, wohin mich die jeweiligen Wege führen werden, wenn ich durch die Tür schreiten würde. Mit zwei offenen Augen sehe ich nur Schwärze. Schließe ich beide Augen, wird mir offenbart, was hinter den Fenstern geschieht.
Es gibt so viele Möglichkeiten, doch da ist eine einzige Regel, der ich mich unterwerfen muss, sonst werde ich irgendwohin geschickt. Diese besagt, dass ich nur zwei Mal blinzeln darf, sonst blüht mir die Entscheidung des Zufallsgenerators. Ich überlege und habe dabei die Augen offen. Obwohl ich weiß, dass ich keine Chance habe, hinter die Türen oder durch die Fenster zu blicken, strenge ich mich an, vielleicht doch auf Hinweise zu stoßen, die sich in der Schwärze bemerkbar machen könnten. Jedoch werde ich enttäuscht. Leider habe ich keine Ahnung, was mich wo erwarten würde oder wie sehr sich die Wege voneinander unterscheiden. Reflexartig muss ich nach einigen Sekunden die Augen schließen. Nacheinander wird es Morgen hinter den Fenstern zwischen den Türen. Ein Blinzeln ist schon verbraucht. „Was nun?“, frage ich mich nervös. Und was bedeutet es überhaupt, wenn ich die Welt hinter den Fenstern durch mein inneres Auge sehe? Mir kommt immer ein Gedanke in den Kopf, der lautet, dass ich weise entscheiden sollte. Das erscheint mir jedoch fast unmöglich.
Inzwischen ist die Sonne hinter den Fenstern aufgegangen und die Aussichten erleichtern meine Entscheidung auch nicht gerade. Nordöstlich erkenne ich dichten Fichtenwald mit seltsamen Luftballons zwischen dem Geäst. Es herrscht dort eine gespenstische Stille. Zwischen Osten und Süden mache ich viel graue Landschaft aus mit vereinzelten Rollstühlen, die scheinbar unabhängig voneinander dort stehen. Das nächste Fenster zeigt mir einen Laden mit Kostümen für Marionetten, die alle ein wenig an Priester- oder Pfarrersroben erinnern. Hinter dem letzten Fenster verbirgt sich blauer Nebel, der sich zyklisch in Tröpfchen zusammenzieht. Diese verwandeln sich wiederum schwerelos in umher schwebende Glaskugeln. Diesem Kreislauf zuzusehen, lässt mich beinahe in Trance verfallen. Doch ich wehre mich dagegen und öffne aus Versehen dabei mein linkes Auge. Mein Herz bleibt stehen, ehe ich überhaupt realisieren kann, dass ich schon zwei Mal geblinzelt habe und mich jetzt, wo ich nichts außer den runden Raum sehe, entscheiden muss. Die Panik erreicht mein Bewusstsein. Mit klopfenden Herzen versuche ich rational zu einer Entscheidung zu kommen, doch ich versage. Jemand öffnet mir die Augen, ich werde durch eine Tür geschickt, durch die ich bisher nichts sehen konnte und auch jetzt nicht. Alles ist schwarz.
Jemand schnippt mit dem Finger. Die Tür hinter mir schließt. Es gibt kein Zurück mehr. Keine Chance auf einen anderen Weg.
Ich sage gedankenversunken „Ja“. Irgendwo fragt jemand „Was, ja“? Ich sage erneut „Ja“. „Ja, ich will“ und sehe mich dabei in meiner Umgebung um. Die Orgel ertönt und ich bekomme einen Kuss. 
Ich wurde geheiratet.

PROSA.

Staub & Langeweile

Die versteinerte Aura meiner gefesselten Seele blickte starr geradeaus auf die Projektion im menschengefüllten Vorlesungssaal. Ich dachte von Anfang an, dass es keinen Sinn haben würde, zuzuhören. Meine Augenlider wurden schwer, mein Interesse neigte sich dem Ende zu und ich kehrte in mich zurück. Binnen Sekunden war ich weit weg vom Geschehen. Eine neonbunte Krähe redete auf Arabisch mit mir. Ich verstand sie, jedoch konnte ich mich nach jedem Wort nicht mehr daran erinnern, was ich gehört hatte. Sein Schnabel bewegte sich gar nicht beim Sprechen. Mein Mund auch nicht, während ich ihm antwortete. Dafür arbeitete meine Zunge ununterbrochen auf dem Tisch vor mir. Sie leckte alles auf. Den ganzen Staub von der Langweile der Kommilitonen. Ich sog sie auf.
Draußen klatschte ein ordentlicher Rabe an die Fensterscheibe. Das interessierte aber niemanden. Eine Masse von geheuchelter Konzentration lag in der Luft. Der Zwang von Anstand klebte zwischen den Stühlen und den Leuten, die darauf saßen. Ich dachte: „Wie falsch.“ Und gähnte.

PROSA.

Der weiße Steinbock

Es war Nacht. Ihr Zimmer war dunkel. Keine einzige Lichtquelle leuchtete. Nur auf der Handy-App lief Einschlaf-Musik. Das Bild auf der App zeigte einen sphärischen Raum zwischen den Planeten.
Im Kühlschrank herrschte Leere. Der Esstisch und der Schreibtisch waren ebenso leer geräumt, als würde sie hier nicht wirklich leben. Sie, eine junge Frau von Mitte 20, lag im Bett ohne Decke. Ihr war kalt auf der Haut und im Herzen. Ihre Tränen versiegten irgendwann, bevor sie den Schritt unternahm und aufstand. Mit einem Top und Unterwäsche bekleidet, stieg sie in ihre Schuhe und zog sich den schwarzen Mantel über. Alles, was sie mitnehmen wollte, waren zwei Liter Wasser und ihr Handy, samt Kopfhörer. In ihre Manteltasche hatte sie schon zuvor Tabletten zurecht gelegt. Die Tür zog sie mit einer entschlossenen Handbewegung zu. So verließ sie ihre Wohnung und somit auch ihr Leben.
Draußen vor der Tür war es kühl. Die kalte Januar-Luft versetzte die Bäume und Sträucher in leichtes Zittern. Die Straßenlaternen schienen trostlos auf die leere Straße. Diese war noch nass vom Regen. Mit hängenden Gesichtszügen ging sie Richtung Wildgehege im nahe gelegenen Wald. Manchmal machte sie ihre Augen für ein paar Sekunden zu. Sie hatte schon mit der Welt abgeschlossen. Dann prasselten plötzlich wieder Regentropfen auf ihre Augenlider. Heftig zitternd ging sie schneller. Der Wildpark war nicht besonders weit weg, wenn man zu Fuß lief. Früher war sie oft mit Freunden oder Bekannten dort spazieren gewesen. Einmal hatte sie auch ihre Kamera dabei, um die Ziegen und Rehe zu fotografieren. Die Fotos befinden sich noch immer auf ihrer Festplatte.
Der Regen wurde immer stärker, weshalb sie ihr Tempo nochmals beschleunigte. Sie wollte es hinter sich bringen. Dort angekommen, spazierte sie ein letztes Mal an den Rehen und Hirschen vorbei und an den Wildschweinen, bis sie sich schließlich auf der Bank vor dem Ziegengehege niederließ. Darauf folgten mechanische Bewegungen eines zitternden, dem Tode selbst geweihten Körpers. 50 Schlaftabletten schluckte sie innerhalb von zwei Minuten. Immer fünf auf einmal mit einem kräftigen Schluck eiskalten Wasser. Der Mantel, der sie hätte wärmen können, lag längst im Matsch. Das restliche Wasser kippte sie mit zusammengebissenen Zähnen über ihren fast nackten Körper. Auch der Kopf wurde nicht verschont. Das Zittern war nun mehr als deutlich sichtbar geworden. Die Ziegen schliefen. Auch sie schaltete nun ihre Einschlafmusik auf dem Handy an und zog ihre Kopfhörer auf. Nach einer Minute schon schaltete ihr Bewusstsein ab. Die Schlaftabletten waren stark. Ob sie in dieser Nacht erfrieren würde? Ein Traum geleitete sie in eine andere Welt. Sie träumte von sich selbst, wie sie dort lag – sterbend – und immer wieder im Geiste wiederholte: „Ich will es so. Bitte holt mich ab.“ Ihr Wunsch wurde erfüllt. Jemand kam. Jemand in der Form eines weiß-strahlenden Steinbocks. Sie sah die helle Silhouette von ihm und den Lichttunnel hinter ihm. Er sprach nicht, doch verstand sie, dass sie gehen durfte. Sie warf einen letzten Blick zurück in den dunklen Tierpark und auf ihren toten Körper. Sie nahm Abschied. Der weiße Steinbock geleitete sie stolz und warm durch den Tunnel in die andere Welt. Leichtigkeit und unbegreifliche Liebe durchströmte sie. So kam sie wieder zu Hause an.

PROSA.

Ein Spiel zwischen Raum und Zeit

Dort oben waren sie zu Hause. Sie flogen manchmal rhythmisch, manchmal durcheinander, manchmal ruhig kreisend über meinem Bett umher. Bunte Schatten. Ohne Augen, ohne Ohren, ohne Mund, ohne Nase, ohne Gesicht. Ohne Kopf. Die Gliedmaßen veränderten sich stets. Alles war im Fluss und im Einklang miteinander. Es machte Spaß, zuzuschauen. Es war beruhigend. Es gefiel mir. Es inspirierte mich. Es regte meine Fantasie an, bis ich in einen tiefen Schlaf fiel.
Irgendwann, bevor ich aufwachte, hatte ich noch einen bemerkenswerten Traum. Er handelte von einem dieser Wesen, dessen Schatten ich zuvor beobachtet hatte. Dieses Wesen war nicht unsichtbar, aber ich konnte es mit meinen Augen nicht wahrnehmen.Auch konnte ich es weder riechen noch schmecken noch hören. Das einzige, was mir möglich war, schien das Tasten durch Raum und Zeit zu sein. Das Wesen führte mich in einem Dreieck durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es war eine Art Spiel für dieses außergewöhnliche Geschöpf. Das Spiel ähnelte einem Hüpfspiel, das kleine Kinder auf der mit Kreide bemalten Straße spielen. Ich kam mit dem Hin und Her Springen nicht so gut zurecht. Es war ungewohnt und bereitete mir Schwindel. Andererseits war ich auch abenteuerlustig und interessiert an vergangenen und noch werdenden Zeiten. Das Wesen wirbelte mit mir herum und als es mir dann doch zu viel wurde, wachte ich auf und konnte mich kaum noch an die Inhalte der verschiedenen Zeiten erinnern. Was blieb, war eine Begegnung mit einem verspielten, freundlichen und übernatürlichen Wesen.
Seitdem wartete ich jeden Abend in meinem Bett auf ebendiese bunten Schatten oben an der Decke. Sie kamen aber nie mehr zurück. Keiner von ihnen.

RATGEBER.

Ins Internet gehen

Wie die virtuelle Welt dein Leben verändern kann

Du hast Lust, dich aktuell, sexuell oder intellektuell in den (sozialen) Medien auszutoben? Du weißt nicht, welche Vor- und Nachteile die jeweiligen Plattformen bieten? Du fürchtest dich vor möglichen Risiken und Nebenwirkungen der Bewusstseinspille, genannt digitale Öffentlichkeit? Dann gibt es nur einen Weg: Ausprobieren. Erfahrungen sammeln. Dazu lernen und verstehen, was es bedeutet, vom Phänomen „Lernen“ fasziniert zu sein. Etwas, das man in der Schule nicht immer beigebracht bekommt.
Hast du dich für dein Lieblingsmedium entschieden, so spüre einfach immer und immer wieder nach, wohin es dich wirklich führt. Vielleicht zieht es dich intuitiv zum bevorzugten Geschlecht. Vielleicht zieht es dich mehr zu YouTube, zu Instagram oder Twitter. Vielleicht zieht es dich wieder weg. Vielleicht zieht es dich aus. Oder es passiert einfach gar nichts.

Mit: Marie Böffgen