Es war Nacht. Ihr Zimmer war dunkel. Keine einzige Lichtquelle leuchtete. Nur auf der Handy-App lief Einschlaf-Musik. Das Bild auf der App zeigte einen sphärischen Raum zwischen den Planeten.
Im Kühlschrank herrschte Leere. Der Esstisch und der Schreibtisch waren ebenso leer geräumt, als würde sie hier nicht wirklich leben. Sie, eine junge Frau von Mitte 20, lag im Bett ohne Decke. Ihr war kalt auf der Haut und im Herzen. Ihre Tränen versiegten irgendwann, bevor sie den Schritt unternahm und aufstand. Mit einem Top und Unterwäsche bekleidet, stieg sie in ihre Schuhe und zog sich den schwarzen Mantel über. Alles, was sie mitnehmen wollte, waren zwei Liter Wasser und ihr Handy, samt Kopfhörer. In ihre Manteltasche hatte sie schon zuvor Tabletten zurecht gelegt. Die Tür zog sie mit einer entschlossenen Handbewegung zu. So verließ sie ihre Wohnung und somit auch ihr Leben.
Draußen vor der Tür war es kühl. Die kalte Januar-Luft versetzte die Bäume und Sträucher in leichtes Zittern. Die Straßenlaternen schienen trostlos auf die leere Straße. Diese war noch nass vom Regen. Mit hängenden Gesichtszügen ging sie Richtung Wildgehege im nahe gelegenen Wald. Manchmal machte sie ihre Augen für ein paar Sekunden zu. Sie hatte schon mit der Welt abgeschlossen. Dann prasselten plötzlich wieder Regentropfen auf ihre Augenlider. Heftig zitternd ging sie schneller. Der Wildpark war nicht besonders weit weg, wenn man zu Fuß lief. Früher war sie oft mit Freunden oder Bekannten dort spazieren gewesen. Einmal hatte sie auch ihre Kamera dabei, um die Ziegen und Rehe zu fotografieren. Die Fotos befinden sich noch immer auf ihrer Festplatte.
Der Regen wurde immer stärker, weshalb sie ihr Tempo nochmals beschleunigte. Sie wollte es hinter sich bringen. Dort angekommen, spazierte sie ein letztes Mal an den Rehen und Hirschen vorbei und an den Wildschweinen, bis sie sich schließlich auf der Bank vor dem Ziegengehege niederließ. Darauf folgten mechanische Bewegungen eines zitternden, dem Tode selbst geweihten Körpers. 50 Schlaftabletten schluckte sie innerhalb von zwei Minuten. Immer fünf auf einmal mit einem kräftigen Schluck eiskalten Wasser. Der Mantel, der sie hätte wärmen können, lag längst im Matsch. Das restliche Wasser kippte sie mit zusammengebissenen Zähnen über ihren fast nackten Körper. Auch der Kopf wurde nicht verschont. Das Zittern war nun mehr als deutlich sichtbar geworden. Die Ziegen schliefen. Auch sie schaltete nun ihre Einschlafmusik auf dem Handy an und zog ihre Kopfhörer auf. Nach einer Minute schon schaltete ihr Bewusstsein ab. Die Schlaftabletten waren stark. Ob sie in dieser Nacht erfrieren würde? Ein Traum geleitete sie in eine andere Welt. Sie träumte von sich selbst, wie sie dort lag – sterbend – und immer wieder im Geiste wiederholte: „Bitte holt mich ab. Ich will es so.“ Ihr Wunsch wurde erfüllt. Jemand kam. Es war jemand in der Form eines weiß-strahlenden Steinbocks. Sie sah die helle Silhouette von ihm und den Lichttunnel hinter ihm. Er sprach nicht, doch verstand sie, dass sie gehen durfte. Sie warf einen letzten Blick zurück in den dunklen Tierpark und auf ihren toten Körper. Sie nahm Abschied. Der weiße Steinbock geleitete sie stolz und warm durch den Tunnel in die andere Welt. Leichtigkeit und unbegreifliche Liebe durchströmte sie. Sie war wieder zu Hause angekommen.
