Schafswollenweiß
Im Jackenfutter
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Für jeden Wolf ein
TRAUM
Autor: Renée Nesca
Der rote Monsun im Norden
Geheilt werden wollte etwas in mir. Ein Splitter in meiner Haut verzehrte mich von innen und sog meine Kraft zu denken an sich. Poren reinigten sich selbst durch kaltes Blut und den Verlust an Widerstandsvermögen. Eine Taschenlampe richtete sich auf mich. Unbemerkt erspähte sie ein und mehrere Blicke, Augenblicke, Anblicke. Dann tastete sie mich ab. Nach Fehlern. Meine Haltung war aus der Ferne betrachtet stolz und eigen. Die Perfektion eines konstruierten Bildes eines Ausschnitts von mir, mein liebster Teil. Das runde Spitzlicht gleitet weiter, tastet im Verborgenen. Spannung schleicht sich ein und die Zehenspitzen, auf denen sie geht, drohen zu brechen, doch bestechend genau und vorsichtig scheu pikst sie Schritt für Schritt nach oben. Die Richtung ist klar. Es geht vorwärts an die Spitze des Eisberges, wo der Höhepunkt wohnt. Die Spitze baut sich stark und stolz vor ihr auf, es ist noch weit. Ein neuer Dorn schleudert mir entgegen. Ich wende mich, fange gekonnt und schwelge in Erinnerung an diesen Stachel, wie er mir im Zentrum meines Auges in Zeitlupe entgegen fliegt. Genüsslich lasse ich ihn in mein Herz. Angespitzt setzt er an und beginnt sich zu drehen. Ich erkenne das Leuchten. Die Taschenlampe blickt nun rhythmisch in meine Augen, durchdringt sie, findet, sucht, findet, sucht. Die Aufmerksamkeit schwindet hin und wieder im Takt des Interesses. Bald ist es soweit, denke ich. Der Berg, auf dem ich dem Licht entgegen wandere, ist bald erklommen. Furcht und Vorfreude vor der Pflanze, der Blüte der Rose, von der dieser Dorn in mir steckt, spüre ich. Von Schmerz ist keine Spur. Also begegnete ich im Norden der spitzen Rose. Ich ließ mich stechen, hier und da. Ich ließ mich genießen. Ich ließ mich ausnehmen. Ein Mann, ein Dorn und Hörner aus Rosenblättern, die mich betörten. So bestieg ich also immer wieder diesen Berg. Einen Berg aus Spannung und Wollen, immer mehr Wollen und Wollen. Selten hielt ich Ausschau, öfter blickte ich in den tiefen, kalten Nebel unter mir. Licht setzte mir in die Augen. Dann sah ich nicht mehr in der Dunkelheit. Zuerst verlegen von dem Leuchten der Taschenlampe, dann geblendet durch die grelle Helligkeit im Norden, wandte ich mich nach innen. Dort scheuchten dunkle Schatten die groben Geister der Vergangenheit auf und blickten mich nicht an. Ich sah nichts mehr. Im Innersten der Dunkelheit in mir wühlte ich und begann selbst zu suchen. Ein rotes Tuch, ein Lippenstift oder ein Tropfen Himbeersaft – all das kam nicht an, gegen das Rot der Blütenblätter meiner teuflischen Liebe. Er hingegen wurde immer mehr zu dem, was ich in mir vergeblich zu finden versuchte. Die Röte um seine Hörner wurde deutlicher. Irgendwann nahm auch wieder meine Sehkraft Zeugnis davon. Ich hielt inne, kurz. Und ich dachte: Bei diesem tausendsten Versuch, den vorüberziehenden Film festzuhalten, werden meine Augen nicht mehr scheitern. An der Stelle alter Lasten sitzt dann, ruhig und still, eine pechschwarze Taube, deren Federn eifrig mitschreiben. Jede einzelne eine eigene Seite, getränkt in warmes, dunkles Blut. Die Tropfen dieses Gedankens verfielen wiederum in die Abhängigkeit seines Ursprungs, sodass sich ein See bildete aus verletztem Begehren, aus Enttäuschung und aus der Freude, mich darin zu versenken. Zu ertränken. Ich ertappte mich bei jedem Schritt, bei jedem Kreis, den ich in der dickflüssigen Masse verursachte. Die Taube aber blickt stolz gen Himmel. Oder war es das Nordlicht, das sie vermisste? Jedenfalls suhlte sie sich in ihrer eigenen Unfähigkeit zu fliegen. Ein Lied aus ihrem Schnabel hallte mir in den Ohren. Ich wollte es nicht mehr hören, doch die bizarre Taube war besessen von alten Worten: „Worin ich schwebe, immer höher, immer schneller, auf dir, unter dir, teile deine Flügel mit mir. Lass uns zusammen die Höhen entdecken und die Tiefen erkunden. Du klappst sie ein, ich streiche sachte über die zarten Federn. Auf dem weichen Boden landend und im Hier und Jetzt, wünsche ich mir, wieder zu fliegen mit dir. Ich wache auf, denn du bist nicht da.“ Kreaturen aus der wachen Welt holten sie nach diesem letzten Ton und retteten mich aus wunderschönen, purpurnen Strudeln. Ich kehrte aus dem Wahnsinn in die gewohnte Verzweiflung zurück. Der Nebel war verschwunden, ich verließ den roten See, gleitete am kalten Eisberg der Spannung vorbei und begab mich in mein gedankliches Krankenhaus, aus dem ich nun schon wieder ausbrechen wollte. Eine Frage blieb bestehen, die ich, ehe ich sie ausgesprochen hatte, bereute. Brennt die Flamme noch? Dann ein Stich mitten ins Herz. Der Dorn war groß, er war spitz, er traf. Und er, der Mann nahm ihn sich zurück. Stücke meines Herzens flogen wild in Scherben, in Fetzen, in Tränen umher. Er zog sie an. Er rannte vor ihnen davon, wandte sich ab, schirmte sich ab. Zog eine Grenze. Doch die Löcher und Wunden klopften und schrien ihn an. Brüllten um mehr. Weinten um die Wette. Und ich saß da und fühlte, wie mich Teile meines Herzens verließen. Unten, ganz unten angekommen, blickte ich dem Eisberg im hohen Norden empor. Spürte seine ausstrahlende Kälte. Empfing eine kühle Luft in meinen Lungen, die meine Organe trocken machten. Meine Zunge hingegen vertrocknete nicht. Ich sprach. Ich nahm mein Streichholz der Hoffnung und scheuerte es am Eis. Es schmolz einfach nicht. Ich nahm mein Feuerzeug des Zwanges. Eigentlich wollte ich den Eiserg verbrennen. Ich wünschte mir ein lichterlohes Feuer, an der Erinnerungen zu Grunde gehen sollten. Doch dies gelang mir nicht, ich scheiterte immer wieder. Das Licht schmilzt schnell, dachte ich. Zu schnell, als dass es einen kalten Rachebrand hervorrufen könnte. Dann wandelte ich, von Zeit zu Zeit schlaftrunken oder wahnbenommen zu jener Stelle, wo ich von der einstigen Taschenlampe Kenntnis genommen hatte, doch es war nichts mehr zu sehen, kein Licht, keine Dunkelheit. Das Nichts tat weh. Ich konnte es nicht ändern. Also versuchte ich mich ebenso zu schützen vor neuen Stichen. Und ich hielt mich fern, von der schwarzen Taube, die dem Pech unterlag und das Unglück gebar. Hin und wieder nahm ich ihre Hinterlassenschaften – Eier, die sie gelegt hatte – und warf sie dem stolzen, eisigen Berg entgegen, in der Hoffnung, eine Reaktion zu erfahren. Doch es geschah nichts. Das passive Nichts quälte mich. Ich verwandelte mich in ein rotes, zorngeladenes Tuch, das im Wind wehte und wirbelte. Ich nannte mich Monsun. Der Wind war beißend. Bald sammelten sich Schneeflocken auf dem Stoff. Ich wickelte sie ein. Ein steinharter, kalt schmerzender Schneeball entstand. Und ich setzte an, ihn loszuwerden. Schwer fiel es mir nicht, denn es war leicht, aus der Kraft der Wut und Verletzung zu schöpfen. All das passierte in der dunkelsten Stunde in der hintersten Ecke meiner Überzeugung. Zielgenau traf ich diesen eisigen, hohen Berg. Eiskristalle donnerten unterdessen von meinen Augen. Wie Blitze erschienen Dornen am gesamten Berg, heftigst demonstrativ verteidigend, was es zu schützen galt. Mich aber schreckte das nicht ab. An Waffen mangelte es mir nicht. Ich spannte einen Bogen, fokussierte auf die Spitze des Eisberges und schoss ihm Pfeile aus Eis entgegen, aus den festesten Kristallen, die ich angesammelt hatte. Es tat gut. Vorerst. Dann zeichnete sich eine rote Linie von dem höchsten Punkt des Berges, hinab zu mir. Ich sah ein Aufleuchten. Ein rundes Licht im Norden, das zunächst dahinschmolz, bevor es sich flackernd in eine rote, grelle Sonne umwandelte. Die Dornen, die wie Warnschilder ringsherum in jeder Ebene des hohen Eisfelsens herausstachen, begannen zu beben. Furchtbar laut wurde es auf einmal, während ich ohnmächtig dem Spektakel vor mir entgegenblickte. Das Loch in meinem Herzen schmerzte und weitete sich. Gib mir zurück, was du mir genommen hast, dachte ich. Und wieder ging er meiner Bitte nicht nach. Ich wartete vergeblich in einer geräuschverstörten Nacht, ohne Hoffnung auf ein gutes Ende. Rauschen. Berauscht von der Reaktion der kreischenden Dornen, die dennoch starr blieben, ging ich einen Schritt auf sie zu, wollte sehen, was passiert. Wollte mehr, immer mehr. Auch wenn ich den Schmerz nicht beachtete, den diese Art von Ablehnung mir bescherte. Kaum betrat ich die verbotene Zone, so ereignete sich ein wutentbrannter Zorn an Gemütern, dem ich nichts mehr entgegensetzen konnte. Die beiden Hälften außerhalb der roten Linie vor mir brachen mit purpurnen Blitzen und Donnerknallen auf, zerfielen fast im selben Moment und wurden von dem Untergrund eingesogen. Ich schenkte mir einen erneuten Widerstand. Ich gab auf, das Nordlicht noch weiterhin sehnsuchtsvoll wie eine Abhängige aus dem Boden zu graben. Es war zu spät. Es blieb nicht viel zurück. Weder Röte noch grelle Helligkeit. Die Luft bestand aus einem flachen Wind, der mich in die entgegengesetzte Richtung trieb. Der dunklen Fläche, die übrig war, kehrte ich den Rücken zu. Es war Zeit, zu schwimmen, dachte ich. Von der ersterbenden Kälte ließ ich mich weiter in die andere Richtung treiben. Die Nacht war beinahe zu Ende, doch ein neuer Traum begann. Mit geschlossenen Augen ging ich weiter, spürte irgendwann einen sandigen Boden unter mir. Ich dachte an Glas, an Fragmente und unbeschreibliche Wärme, die wie im Fieberzustand von innen strahlt. Beim Blinzeln in den Morgenstunden erkannten meine Sinne ein farbenfrohes Mosaik in der Ferne. Abermals wollten meine Gedanken abschweifen, eintauchen in das Leid über den Verlust gestohlener Bruchstücke meines Herzens. Ich habe Zeit, mich abzuwenden, dachte ich. Nun, sitzend und mit wachen Augen, betrachtete ich das umherschwebende Mosaik am bläulichen Himmel. Das farbenfrohe Glänzen der Steine, zündete in mir Selbstheilungskräfte. Die immer neu verspielte Anordnung der Elemente tröstete mich. Leise und ruhig blieb ich sitzen und ließ mich heilen von Zeit, Wärme und dem Spiel des Zufalls.

Der erste Tag
Mit geschlossenen Augen nahm sie die Wärme wahr, die durch ihre Augenlider drang und die Helligkeit, mit der sie trotz vermeindlicher Dunkelheit sehen konnte. Schilder schwirrten in ihren Gedanken umher. Hinweisschilder und Warnschilder waren darunter, doch das Licht der Sonne war so stark, dass die Schrift auf der weißen Oberfläche immer schwerer zu erkennen war, bis irgendwann schließlich nur noch jede Menge leere Flächen vorhanden waren. Sie genoss die Reflexion der Sonnenstrahlen und wünschte sich nur noch eines: Dass mit ihr das Gleiche geschah. Versunken in diesen Wunsch und keine Erinnerungen verschwendend an die Vergangenheit, ließ sie los von jedem Schmutz, der sich in ihrer Seele angesammelt hatte.
Ich rühre den Teig. Jede einzelne Zutat vermischt sich mit der Masse. Eine Einheit bildet sich, aus der ich nun etwas Neues schaffen kann.
Erfahrungen des Schmerzes, der Freude, der Lust und der Wut wirbelten wild in ihr umher. Jedes Erlebnis hatte Spuren bei ihr hinterlassen. Ablagerungen, die mit der Zeit zu einer Last wurden. Diese galt es loszuwerden. Sie öffnete die Augen. Aus der Reflexion der Sonne auf ihrer Pupille wurde ein immer größerer Kreis aus weißem Licht, das sich auf beide ihrer Augen ausweitete. Sie verstand, was es bedeutete tot zu sein und verharrte in einem todesähnlichen Zustand. Die Haare färbten sich von schwarz zu weiß an ihrem gesamten Körper. Eine Gänsehaut ließ sie spüren, dass alles einen richtigen Weg nahm.
Gegenüber von mir befindet sich ein Plakat mit einem stolzen, weißen Steinbock. Er steht erhaben auf einem hohen Stein. Jeder Blick um ihn herum führt in die Tiefe. Er wird umarmt vom schönen Blau des weiten Himmels.
Bald komplett eingehüllt vom weißen Strahlen schreitete sie fort mit der Erfüllung ihres lang ersehnten Wunsches. Nachdem ihre Haut nun vollständig so weiß wie Schnee geworden war und sie das Aussehen einer Eiskönigin erreicht hatte, ging ihr das Licht unter die Haut. Sie verwandelte sich in eine gänzlich weiße Projektionsfläche. Nun war alles möglich.
In ihr war alles vereint und sie konnte zu allem und jedem werden. Ihr standen alle Türen offen.
Leben

Hungern, Dursten, Hecheln, Flehen,
Betteln.
Ohne Geld lernen,
Was es bedeutet,
Zu leben.
Fragil Stabil I
Zittern, Denken, Kreisen.
Rasen, Ängsteln, Sinken.
Durchdrehen, drehen, drehen.
Drehen.
Ich weiß nicht mehr,
Wer ich bin,
Wer ich sein wollte,
Sein sollte.
Es kippt,
Denke ich.
Es ist nicht mehr wichtig,
Wer ich vorher war.
Gesundheit!
Danke..
Fragil Stabil II
Langsam driften driften,
Keine Unruhe mehr stiften
Chillen in den Rillen
Keinen Bock mehr auf
Rastlos Gehirne grillen
Einfach nur noch zum Alltag drillen.
Schlafen, schlafen, schlafen.
Quälend leise Reue fühlen.
Nicht mehr sinnlos im Gehirne wühlen.
Keine heißen Wangen kühlen.
Gerade noch zerfahren
Sag:
Immer Ruhe bewahren
Sag:
Alles wird gut,
Mit den Jahren.
Fragil Stabil III
Keuchend, rennend, weg vom Fenster.
Kerzen brennen,
Bis ich sie sehe,
Die Gespenster.
Jagen Angst,
Bangen schwer,
Treten langsam, leise, platt,
Den Bär,
Den wilden.
Bin wieder nüchtern, klar.
Im Geiste ganz schön rar.
Pillen schmelzen
Pillen helfen
Froh um heute,
Froh um morgen,
Und gestern vergess ich,
Mach dir keine Sorgen.
Morellen im Schatten
Weinend treibt die dunkle Schwärze das Rot in die Ecke, verbirgt nichts, als den Scham ohne Zweifel und mit großer Sorge um die Vergangenheit. Kohle fängt den fragmentarischen Suff ein und schwärzt und schwärzt und schwärzt den Nagel am anderen Ende der versifften Wand. Muster und Farbe verraten wenig über den eleganten Besitzer. Überdies schlägt die winzige, leicht übersehbare Kirchturmuhr viertel nach zehn. Die Zeit ist vorüber, sodass mikrige Quallen die Lichter blasen. Wenn die Situation faul wird, dann sind die Lichter schwarz. Wir sind im Land der schattigen Morellen.
Bleiches Pfannkuchengesicht leckt und schmatzt und zieht, wo es nicht ziehen soll. Saugt und leckt und schmatzt und zieht. Doch nein, es ist nur ein Kind. Es weiß nicht, was es tut.
Brennend und vor Schmerz stöhnend lege ich mich ins Bett und ziehe mich aus. Schließe die Augen und hoffe, dass mir dieses Biest vom Leibe bleibt. Aber nein, was ist das nur für ein Geräusch? Ich senke meinen Kopf und sehe das Kind, spuckend und lachend zugleich. Etwas in mir ändert sich von Schwarz zu Rot und von Weiß zu Schwarz.
Plötzlich höre ich die Kindesstimme flüstern. Kann es gar nicht richtig verstehen, jedoch vernehme ich einzelne Worte und setze sie ergänzend zusammen. Es ergibt einen grausamen Sinn: „Wolltest du nicht schon immer sterben.“ Es ist eine an mich gerichtete Frage ohne Senken der Stimme am Schluss. Irritiert schaue ich das sabbernde Kind an und verstehe nicht, was es von mir will. Im Halbdunkel wende ich meinen Blick ab zur Uhr. Schon halb Zwölf. Als ich den Hals wieder gerade drehen will, spüre ich Schleimiges an meinen Genitalien. Nicht schon wieder. Voller Ekel stöhne ich kurz auf, traue mich jedoch nicht, mich zu bewegen. Ich fürchte mich vor diesem Kind. Es scheint nicht ganz normal zu sein. Besser gesagt überhaupt nicht normal. Immerzu schaut es mich an aus seinen großen, blauen Kinderaugen, während es an meinem Glied saugt wie an einem Schnuller. Oder an einer weiblichen Brust. Ebendieses Glied, das ich meines nennen darf – kann, ach, muss! – ist hart wie Stein. Ich kann es nicht ändern, kann die Szene nicht umkehren, geschweigedenn beenden. Ich bin erfüllt von widerwertigen Gefühlen und doch brenne ich vor Lust. Ich bin scharf.
Ich versuche die negativen Gedanken wegzuschieben und einfach das Gute isoliert zu genießen. Das Kind macht feuchter Wangen und glückseligen Gesichtsausdrucks immer weiter und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es noch lange dauern würde, bis ich meinen Samen in den kleinen unschuldigen Mund ergießen würde. Aber es zieht sich hin, als wäre es gewollt. Ich unterdrücke andauerndes Stöhnen, doch irgendwann platzt es aus mir heraus und ich schreie und schreie, da sich nun alles in mir entlädt. Es ist unglaublich befreiend.
So laut ich schrie, so laut schrie auch meine Frau, die in der Tür stand – mit Einkaufstüten. Mein Schreien war so laut und ich war zu benebelt gewesen, um zu registrieren, dass sie gekommen war – mit mir. Sie blickte abwechselnd zu mir und auf unser gemeinsames und nun spermaverschmiertes Kind Morelle. Ihr vor Ekel verzehrtes Gesicht blieb nichtssagend. Tagelang änderte sich an diesem Zustand nichts. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, ja, aber ich wollte auch über diese Sache nicht mehr reden. Ich schwieg das Thema stattdessen im wahrsten Sinne des Wortes tot.
Eines Tages sitze ich mit dem Kind alleine in der Küche. Ich nehme mir eine Erdnuss und im Augenblick, als ich schlucken will, gleitet sie in meine Luftröhre. Ich sehe das Kind vor mir, wie es herzlich lacht und lacht, als gäbe es nichts anderes zu tun. Ich ringe um Luft, doch die Nuss steckt mir im Hals. Ich falle samt Stuhl um und werde bewusstlos. Eine leise Stimme dringt an irgendein waches Ohr der meinigen und kichert: „Als aus dem kleinen Tod ein großer wurde.“
Es war zu spät für jegliche Hilfe, er war erstickt. Seine Frau, trauernd und das Kind stillend auf dem Arm, denkt zurück und vorwärts und ist wieder im Hier und Jetzt, als sie ein starkes Ziehen an ihren Brustwarzen bemerkt. Erschrocken erblickt sie das Kind und fragt es sanft, und doch halb lachend: „Was machst du denn mit mir?“. Das Kind leckt und saugt und schmatzt und leckt und flüstert: „Wolltest du nicht schon immer ein bisschen sterben?“
Das Telefonat
So tröstlich war dies kurze Wort, diese kleine Ansprache. Die Abwesenheit seiner Worte, die Zielrichtung, welche sie einschlugen, war ebenso schön wie entmutigend, denn sie golten größtenteils nicht mir, diese Mitteilungen. Nein, es war jemand anderes, der sich, selbst nicht bewusst, dem Genuss der Stimme meines Freundes aussetzte – nichtsahnend, wie kostbar und wertvoll ebendiese zu bezeichnen ist. Für mich war es die Zigarette des Tages, die Nadel der Nacht, die Schokolade des Mittags, der Kuss des Lebens. Ja, es war wahrhaftig ein Beleben der inneren Lippen durch die Laute, die die seinigen verließen. Ganz und gar erfüllend für den Bruchteil einer Sekunde. Die Würze, die Akzentuierung. Die wundersame Betonung der zu betonenden Klänge. Und die Entschädigung für die Ausrede seines Zeitdefizits war der Trost einer Verschiebung. Inhalt gegen Formulierung, gegen Aussprache. Der vage Trost einer Vertröstung auf spätere Zeit ist nichts hingegen einer makellosen Zusammenstellung von Worten und nicht zu vergessen die Sprechgewohnheit des Gegenübers, die über den Inhalt hinweg verzaubern kann. Die Liebe zu einer Stimme, zu der Sprache eines Sprechers, ist wie die Morgenröte, die einem entgegen blickt, sobald man zu früher Stunde das Fenster öffnet. Kurzweilig und doch so intensiv. Selbst die Flüchtigkeit seiner Ansprache war tröstlich. Es war der Versuch, mir, seiner Zuhörerin, keinen Schmerz zufügen zu wollen und mich gleichzeitig recht effektiv abzuhandeln. Diese Gesinnung nahmen meine Ohren in feinster Nuancierung wahr. In jedem Wort, jedem Buchstaben steckten drei Worte, zwölf Buchstaben: „Es tut mir leid“.

Ohne Seele keine Kunst
Welchen Anspruch ich an meine oder fremde Kunst habe
Es ist egal, welches Medium gebraucht wird. Ob vor mir eine Radierung, eine Fotografie oder eine Malerei liegt oder ob ich live an einer Performance teilhabe – die Technik macht lediglich einen oberflächlichen Unterschied. Tiefer geht es mir jedoch darum, dass jemand etwas zu sagen hat. Kunst darf schön sein; Kunst darf hässlich, eklig, schockierend sein; Kunst darf politisch, kritisch, provokant sein. Kunst darf alles, ja. Aber die Frage, die ich mir immer wieder stelle, geht in Richtung Sinnhaftigkeit. Natürlich liegt es im Auge des Betrachters, was als sinnvoll oder sinnlos erachtet wird. Jedoch nervt und langweilt mich vieles, was ich sehe. Wenn in einem Kunststudium darüber referiert wird, wie erhellend und erkenntnisreich es sein soll, ein Haus komplett schwarz und dann komplett weiß anzumalen, kann ich mich nur noch verständnislos abwenden. Wenn darüber diskutiert wird, ob Orange eine angenehme Farbe für eine Website ist, schalte ich schon innerlich ab. Wenn Professoren fragen, warum gezeichnete Augen ohne Kontext „so asiatisch“ aussehen, kann ich die Hochschule als einen Ort der Entwicklung nicht mehr ernst nehmen. Wieso stellen die meisten Menschen so belanglose Fragen? Wieso beschäftigen sich die meisten Menschen, auch in der Freien Kunst, mit belanglosen Themen? Wieso sind so viele Kreative einfach nur handwerklich fähig, aber ohne jegliche Inspiration, ohne Vision, ohne Seele?
Mein Auftrag ist klar und meine Kunst nur ein Mittel zum Zweck. Es mangelt mir selten an Kreativität. Sie ist für mich auch nicht das Endziel, sondern etwas, das ich benutze, um zu forschen und zu kommunizieren.